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Wenn man nicht zu Hause bleiben kann

Wie Corona-Pandemie macht die strukturellen Mängel der Wohnungsplosenpolitik sichtbar

Von einem auf den anderen Tag war quasi alles dicht. Die Covid-19-Pandemie und die Einschränkung des öffentlichen Lebens zu ihrer Eindämmung bedeutete (und bedeutet) für Wohnungslose, noch mehr als ohnehin abgeschnitten zu sein vom Nötigsten. Bis jetzt läuft die Wohnungslosenhilfe mit Notlösungen, die spätestens im Winter nicht mehr funktionieren werden. Zugleich macht die Corona-Krise sichtbar, was im verwalterischen Umgang mit Wohnungslosigkeit strukturell nicht funktioniert.


Die Einschränkungen im März haben rund 680.000 Menschen, die in Deutschland keine eigene Wohnung haben, massiv getroffen, vor allem die etwa 48.000 unter ihnen, die, obdachlos, auf der Straße leben. Der Stillstand des öffentlichen Lebens bedeutete Notbetrieb in Beratungsstellen und Suppenküchen, geschlossene Toiletten in Cafés, Kaufhäusern oder Bürgerbüros, Behörden im Homeoffice, «draußen bleiben» an Orten, die sonst Aufenthalt bieten, ein offenes Ohr, soziale Kontakte. Als alle zuhause bleiben sollten, waren nur noch die draußen, die keine Zuhause haben. Kaum ein Ladeneingang in der Fußgängerzone, in dem kein Schlafsack lag. «Die Corona-Krise bedeutet für wohnungslose Menschen eine dramatische Verschlechterung ihrer ohnehin prekären Lage», warnte die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe im März. Und meinte die, die komplett auf der Straße leben genauso wie die, die in engen Unterkünften nicht «Abstand halten» können.
In Dortmund leisten vor allem ehrenamtliche Strukturen und NGOs in den letzten Monaten Beeindruckendes, um eine Notversorgung aufrecht zu erhalten. Sie sorgen für Frühstück und warme Mahlzeiten; in einer städtischen Immobilie und mit kommunaler Teilfinanzierung ist, nach Druck von unten, ein temporäres Hygienezentrum installiert worden, um den Wegfall von Duschen und Sanitäranlagen in den geschlossenen Einrichtungen teilweise zu kompensieren.

Immer noch Krise

Alle Lösungen bleiben vorübergehende und Not-Lösungen. Wir erleben Menschen in psychischen Ausnahmesituationen, die sich seit fast fünf Monaten durchgehend im öffentlichen Raum aufhalten, die seit Monaten Schlange stehen für Mahlzeiten und Lebensmittel, eine Dusche, Kleidung. Wir erlebten ein Ordnungsamt, das bei der Ahnung von Verstößen gegen die Corona-Schutzverordnung(en) bei als «Randgruppen» gelabelten Menschen jedes Augenmaß verlor und Betroffene mit teils vierstelligen Bußgeldern belegte. Und wir sehen, dass Covid-19 einmal mehr die strukturellen Mängel im Umgang mit Wohnungslosen in Dortmund sichtbar macht.

Risikofaktor Sammelunterkunft

In Dortmund ist die Übernachtungsstelle in der Unionstraße erste Station für obdachlose Männer. Wer hier übernachtet, schläft in Mehrbettzimmern, eine Tür hinter sich schließen, sich zurück ziehen kann man nicht. Das ist auch administratives Ziel – es geht um ein Dach über dem Kopf im Notfall, nicht um Wohnen.

Enge, zu wenig sanitäre Anlagen und kaum Rückzugsräume in Sammelunterkünften sind nicht erst seit Corona ein Problem. Mit der Pandemie werden Unterkünfte zur Katastrophe. In Dutzenden Einrichtungen für Geflüchtete und Wohnungslose bundesweit gab es Ausbrüche, mehrere Menschen starben, oft waren Hunderte von Quarantänemaßnahmen betroffen, die Häuser eingezäunt und polizeibewacht. Jetzt wäre die Zeit, das Konzept der Sammelunterbringung zu beenden. In Dortmund sieht es nicht danach aus.

Zugänge und Ausschlüsse

Kommunen sind zur Unterbringung verpflichtet. Einige drücken sich aber, zum Teil mit haarsträubenden Methoden. Die Dortmunder Männer-Übernachtungsstelle ist auch obligatorischer Einstieg ins staatliche Hilfesystem. Längst nicht jeder kommt hinein. Eine «Gefahr für Leib und Leben» ist Voraussetzung. Woanders wäre wohl der Rettungsdienst zuständig. Die Unterbringung ist an den Bezug von Sozialleistungen gekoppelt – wer die nicht bekommt, muss sich kümmern, zahlt selbst oder bleibt draußen. Das trifft EU-Zugewanderte und Nicht-Dortmunder:innen, Menschen mit psychischen oder Suchterkrankungen, und die, die den komplizierten Marathon von Behörden zu Beratungsstellen zu Behörden nicht schaffen. Wer sich nicht genug anstrengt, so der Gedanke dahinter, ist dann eben «freiwillig obdachlos» – und die Stadt nicht zuständig. Wie sehr diese (rechtswidrige) Praxis an der Realität vorbei geht, ist im öffentlichen Raum gerade erschreckend sichtbar.

Wohnen

573 Haushalte wurden in Dortmund im Jahr 2018 zwangsgeräumt, fast 90 Prozent der Betroffenen waren im Transferleistungsbezug. Die Stadt Dortmund sichert Hilfen zu, um den drohenden Verlust einer Wohnung abzuwenden – das schafft sie aber offenbar nur unzureichend. In Ballungsräumen mit angespanntem Wohnungsmarkt sind die Konsequenzen umso drastischer. Wer dort, wo Wohnraum knapp ist, die eigene Wohnung verliert, findet unter Umständen für lange Zeit keine neue. Die Stadt hat, zumindest auf dem Papier, ein Konzept. Und sie hat Verantwortung, wann immer möglich zu verhindern, dass Menschen ihre Wohnung verlieren.

Es bleibt ein Grundproblem: Seit Jahren fehlt bezahlbarer Wohnraum. Dortmund hat eine Menge getan, um gegenzusteuern: eine Quote für öffentlich geförderten Wohnungsbau, Werbung bei Investor:innen, gute Förderbedingungen. Doch die Erfolge decken den Bedarf bei Weitem nicht. Sozialer Wohnungsbau bleibt unattraktiv, weil die Einnahmen die massiv gestiegenen Baukosten nicht ausgleichen. Die Stadt könnte hier handeln: sozial(er)e Wohnprojekte bevorzugen, eigene Grundstücke selbst bebauen anstatt zu verkaufen, mehr preisgebundenen Wohnraum vorschreiben. Bisher ist es bei Worten geblieben.
Wohnen ist ein Menschenrecht. Kommunen haben die Pflicht, Obdachlosigkeit zu beenden. Der effektivste Kampf gegen Wohnungslosigkeit ist, sie zu verhindern, bevor sie eintritt. Das erfordert funktionierende Abläufe in den Behörden, aufmerksame Sachbearbeiter:innen, womöglich Frühwarnsysteme, die drohende Wohnungsverluste erkennen und abwenden. Für Menschen ohne eigene Wohnung braucht es eine Wohnungslosenhilfe, die sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert: niedrigschwellige Einstiege, Angebote, die auch in schwierigen Fällen Perspektiven bieten und auf Sanktionen verzichten, die Rückschläge provozieren. Und eine Verwaltung, die endlich allen hilft, die Hilfe brauchen, und nicht nur denen, für die jemand zahlt.
Alexandra Gehrhardt, bodo – das Straßenmagazin
(Bild: Sebastian Sellhorst)

Weitere Informationen findet ihr unter:
Bodo – das Straßenmagazin: bodoev.de

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